Zwei ganz außergewöhnliche Rum-Sorten habe ich diesmal im Glas: Einen klaren Zuckerrohrsaftbrand aus Mexiko und ein Estermonster aus Jamaika. Ganz ehrlich? Nix für Einsteiger!
Was Rum angeht, war es bei mir bis vor nicht allzu langer Zeit wie bei so vielen anderen Menschen: Der Horizont war extrem eingeschränkt. Aus den Zeiten als Schüler und Student kennt man die üblichen Verdächtigen à la Havanna Club und Bacardi (beide verkaufen auch durchaus passable Abfüllungen, die es aber sehr selten ins hiesige Supermarktregal schaffen), die man meist mit Cola oder in einem übersafteten Cocktail getrunken hat. Später kommen dann vielleicht noch Kandidaten wie Ron Botucal dazu, den man zu dem Zeitpunkt und ausgehend von Havanna Club 3 und Bacardi Blanco für das höchste der Gefühle hält. Dabei ist es – und auch das habe ich sehr spät gelernt – einfach nur der nachträglich hinzugefügte Zucker, der einen glauben lässt, dass es sich dabei um das Ende der Rum-Fahnenstange handeln muss.
Ich weiß, dass viele das Gerede vom Zuckerzusatz im Rum für elitäres Gequatsche von Menschen halten, die sich als die wahren Genießer sehen und anderen wahlweise schlechten Geschmack oder Unwissenheit vorwerfen. Genau das möchte ich aber gar nicht tun, denn ich gönne jedem Rum-Trinker sein Glas Botucal von Herzen. “Jeder darf trinken, was ihm schmeckt” ist ohnehin mein Motto.
Rum-Horizont langsam erweitern
Aber ich habe für mich inzwischen herausgefunden, dass ich einen Schritt in eine Rum-Richtung gemacht habe, von der ich bis vor wenigen Monaten nicht einmal wusste, dass sie existiert. Und hätte ich sie gekannt, wäre ich vermutlich sowieso nicht in diese Richtung gegangen. “Dein Gaumen ist einfach noch nicht reif für diese Aromen” zitierte letztens ein Kumpel seinen rum-erfahrenen Bruder; und die Aussage passt ganz gut. Was sich im ersten Moment vielleicht wie eine abschätzige Bemerkung anhört, enthält ganz viel Wahrheit: Man braucht eine gewisse Erfahrung, um sich auf neue Geschmäcker einzulassen. Das gilt ja nicht nur für Spirituosen wie Rum und Whisky, sondern auch für andere Nahrungs- und Genussmittel wie Kaffee, Rosenkohl und rohen Fisch.
Aber ich schweife vom Thema ab (auch wenn die Sache mit zugegebenermaßen fasziniert). Eigentlich möchte ich heute einfach nur zwei Rum-Abfüllungen vorstellen, die meiner Meinung nach die fortgeschrittenen Trinker ansprechen – das ist wirklich nicht abwertend gemeint. Es sind zwei ganz unterschiedliche Tropfen: Der Paranubes ist ein weißer Rum aus Mexiko mit 54 Prozent Alkohol, der Habitation Velier Hampden HLCF 2010/2016 ist ein gereifter Rum aus Jamaika mit schon grenzwertigen 68,5 Prozent Alkohol.
Paranubes aus Mexiko
Aus einem kleinen Ort im Norden des mexikanischen Bundestaates Oaxaca kommt der Paranubes Rum. Oaxaca? Da war doch was! Genau: Es ist das Zentrum der Mezcal-Produktion, jenes rauchige Nationalgetränk Mexikos. Jose Luis und seine Familie haben sich aber entschieden, statt Mezcal aus Agaven lieber Rum aus Zuckerrohr herzustellen – genauer gesagt: aus frischem Zuckerrohsaft.
Destilliert wird in einem ganz einfachen Säulenapparat (Column Still), der mit Zuckerrohrfasern befeuert wird. Wie der Großteil des Mezcals so wird auch der Paranubes nicht in Fässern gelagert, sondern ungereift abgefüllt. Damit liegt der volle Charakter der Destillation im Geschmack – kein Holzeinfluss. Entsprechend ist der Rum klar wie Wasser.
Geruch: In die Nase steigt sofort ein starkes Gemüsearoma, vor allem Sellerie und Salatgurke, aber auch Oliven und Spargel kann ich riechen. Dazu ein Hauch von Instant-Gemüsebrühe und Honig-Senf-Dressing. Wer Rum bisher durch die oben genannten Marken definiert hat, wird im Leben nicht darauf kommen, dass es sich beim Paranubes überhaupt um einen Rum handelt. Der Geruch ist total anders, total ungewöhnlich, aber zugegebenermaßen auch nicht ganz einfach.
Geschmack: Im Mund kommt deutlich weniger Gemüse rüber, dafür wird es blumiger und fruchtiger mit Ananas, Banane und Mango. Im zweiten Schluck ist der Paranubes dann würziger mit Pfeffer, zudem machen sich grasige und erdige Noten breit. Der Alkohol ist gut eingebunden, er ist trotz der ordentlichen 54 Prozent nicht störend.
Abgang: Die markante Gemüsenote bleibt etwas länger im Mund als die fruchtigen Anteile. Insgesamt ist der Abgang mittellang.
Mit Wasser: Die Intensität des Aromas geht deutlich zurück, dafür kommt der Alkohol merkwürdigerweise stärker zum Vorschein. Der Paranubes gewinnt durch die leichte Verdünnung überhaupt nichts – er öffnet sich nicht, es gibt keine neuen Aromen. Also: Die Zugabe von Wasser ist meiner Meinung nach nicht empfehlenswert.
Fazit: Der Geruch ist extrem … anders und für mich komplett neu – aber auch alles andere als einfach, weil unerwartet und sehr ungewöhnlich. Geschmacklich ist der Paranubes Rum hingegen etwas leichter zugänglich, weil er lieblicher und angenehmer ist. Es ist ungewöhnlich, dass ich zwischen Geruch und Geschmack derart stark unterscheiden kann, aber hier ist das definitiv der Fall.
Habitation Velier Hampden HLCF 2010/2016 aus Jamaika
Bei diesem Rum handelt sich um ein Produkt der jamaikanischen Brennerei Hampden, die Abfüllung stammt allerdings von Habitation Velier, einem unabhängigen Abfüller aus Italien. Hampden ist – wie viele andere jamaikanischen Destillen – vor allem bekannt für einen Rum mit einem hohen Gehalt an Ester, der diesem ein ganz charakteristisches Aroma verleiht. Diese High-Ester-Rum sorgen in der Regel für ein starkes Aroma von reifen Bananen und sonstigen Früchten. Ist der Estergehalt allerdings so hoch wie bei dieser Abfüllung (550 Gramm pro Hektoliter reinen Alkohols), wird es geschmacklich sehr – ich sage mal – anspruchsvoll (s. Verkostung unten).
Der Habitation Velier Hampden HLCF 2010/2016 wird aus Melasse hergestellt (wie die meisten Rum-Sorten) und in einer “Double Retort Pot Still” genannten Brennapparatur destilliert. Anschließend lagert er sechs Jahre im Fass und wird mit eben dieser Fassstärke von wuchtigen 68,5 Prozent in die Flasche abgefüllt.
Geruch: Klebstoff, Benzin, Verdünnung – hier gibt’s die ganze Chemiepalette für Schnüffler. Und ich finde es super. Ich kann mich gar nicht daran satt riechen. Dazu findet man Aromen von nassem Asphalt nach einem Sommerregem und starke Mentholnoten, aber auch etwas massentauglichere Gerüche von Karamell und Marzipan, Birnen und Bananen. Diese werden aber von den zuerst erwähnte kräftig beiseitegeschoben. Der Alkohol sticht etwas in der Nase, kein Wunder bei 68,5 Prozent.
Geschmack: Der extrem hohe Alkoholgehalt ist sofort zu spüren, es brennt auf der Zunge. Dazu gesellen sich starke Säure und wieder die Aromen von Klebstoff. Die Karamell- und Toffeenoten sind im Mund etwas stärker, schaffen es aber keinesfalls in den Vordergrund – nicht mal in die Nähe.
Abgang: Der Hampden bleibt nicht so lange, wie man von Geschmack und Geruch erwarten würde. Was hingegen lange bleibt, ist die extreme Trockenheit im Mund. Die Zunge klebt auch Minuten später noch am Gaumen.
Mit Wasser: Mit einem ordentlichen Schuss kommen die krassen Aromen auf ein erträgliches Niveau runter, wobei ich finde, dass gerade in der Nase einiges verloren geht. Ich bin da eher für das unverdünnte Riechen. Im Mund profitiert der Rum ganz einfach davon, dass er nicht mehr so sticht und brennt. Dennoch bleiben alle Geschmacksnoten erhalten, werden sogar noch etwas runder. Der Hampden wird sanfter und angenehmer.
Fazit: Ohne Wasser riechen und mit Wasser trinken – so würde ich diesen Rum am liebsten zu mir nehmen. Das geht aber nur vor dem ersten Schluck, oder man schütte immer nur winzige Mengen ins Glas. Aber zur Sache selbst: Dieser Rum ist extrem. Extrem im Geruch. Extrem im Geschmack. Ich liebe ihn. Knaller.
Rum-Tasting als extreme Erfahrung
Ich habe hier zwei Rum-Abfüllungen verkostet die deutlich vom Standard abweichen, falls es sowas überhaupt gibt. Man liebt sie oder hasste sie? Soweit würde ich nicht gehen, weil ich zumindest beim Paranubes unentschlossen bin. Geschmacklich find ich ihn sehr gelungen, den Geruch empfinde ich als schwierig. Ob ich 50 Euro für die ganze Flasche ausgeben würde? Ebenfalls unentschlossen.
Den Habitation Velier Hampden HLCF 2010/2016 finde ich hingegen großartig, gerade wegen seiner brachialen Aromen, die durch und durch gehen. Da hat man wirklich was von, auch wenn es für die meisten Menschen wohl eine Spur zu viel sein dürfte. Allerdings: Bei etwa 150 Euro pro Flasche wird ein Original dieses Rums so schnell nicht den Weg in meine Hausbar finden.
Ich danke Helmut von schlimmerdurst.net ganz herzlich für die Samples der beiden Rums.